BGH Urteil vom 27. Januar 2022 – VII ZR 303/20

Der BGH musste entscheiden, ob die Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche des Fahrzeugkäufers gegen die Volkswagen AG durch die Anmeldung der klägerischen Ansprüche zum Klageregister der am OLG Braunschweig geführten Musterfeststellungsklage gehemmt wurde.

Sachverhalt:

Der Kläger nimmt die beklagte Volkswagen AG wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger erwarb 2011 bei einer Kfz-Händlerin ein von der Beklagten hergestelltes Neufahrzeug VW Golf VI 2.0 TDI zu einem Preis von 22.607 €. In dem mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 (EU 5) ausgestatteten Fahrzeug war eine Motorsteuerungssoftware verbaut, durch die auf dem Prüfstand bessere Stickoxidwerte erzielt wurden als im realen Fahrbetrieb.

Mit seiner im Oktober 2019 eingegangenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung sowie die Zahlung von Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt. Die Beklagte hat unter anderem die Einrede der Verjährung erhoben. Der Kläger behauptet, er habe sich im Dezember 2018 zur Musterfeststellungsklage an- und im September 2019 wieder abgemeldet.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen und die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Einem Anspruch des Klägers auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung stehe die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede entgegen. Es sei keine Hemmung der Verjährung vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist erfolgt, die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit dem Schluss des Jahres 2015 in Gang gesetzt worden sei. Die rechtzeitige Anmeldung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage noch im Jahr 2018 habe der Kläger nicht bewiesen. Eine Anmeldung zum Klageregister erst nach Ablauf der Verjährungsfrist wirke nicht auf den Zeitpunkt der Erhebung der Musterfeststellungsklage zurück. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat der Kläger sein Klagebegehren weiterverfolgt.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der BGH hat das Urteil aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an zurückverwiesen. Mit der bisherigen Begründung kann die Klage nicht wegen Verjährung abgewiesen werden.

Die Revision hat erfolgreich beanstandet, dass die Verjährung der Klageforderung sei mit dem Schluss des Jahres 2018 – und daher vor der 2019 erfolgten Klageeinreichung – eingetreten. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen kann die Hemmung der Verjährung durch Anspruchsanmeldung zum Klageregister der gegen die Beklagte geführte Musterfeststellungsklage im Jahre 2018 nicht verneint werden. Für die Entscheidung des Bundesgerichtshofs konnte daher dahinstehen, ob die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres 2015 zu laufen begonnen hat.

Die Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB im Falle eines wirksam angemeldeten Anspruchs tritt – wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat – grundsätzlich bereits mit Erhebung der Musterfeststellungsklage und nicht erst mit wirksamer Anmeldung des Anspruchs zur Eintragung in deren Register ein, auch wenn die Anspruchsanmeldung selbst erst nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist erfolgt (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – VI ZR 1118/20 Rn. 24 ff.).

Nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Klägervortrag wurde vor Ablauf des Jahres 2018 eine Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte erhoben, hat der Kläger die streitgegenständlichen Ansprüche jedenfalls ab Beginn des Jahres 2019 wirksam zur Eintragung im entsprechenden Klageregister angemeldet (§ 608 ZPO) und liegt den Ansprüchen derselbe Lebenssachverhalt zugrunde wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage. Unter diesen Voraussetzungen war die Erhebung der Musterfeststellungsklage gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB grundsätzlich geeignet, die Verjährung der klägerischen Ansprüche zu hemmen, und zwar auch dann, wenn – wie vom Berufungsgericht angenommen – eine Anmeldung zum Klageregister noch im Jahr 2018 nicht bewiesen ist. Der Kläger hat nach Rücknahme der Anmeldung zudem auf der Grundlage einer von ihm zweitinstanzlich vorgelegten Urkunde innerhalb der Sechs-Monats-Frist des § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB die vorliegende Individualklage erhoben.

Dem Kläger ist es nicht verwehrt, sich auf die Hemmung der Verjährung zu berufen. Der Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB findet grundsätzlich auch dann Anwendung, wenn der Gläubiger seine Anmeldung zum Klageregister im weiteren Verlauf des Musterfeststellungsverfahrens wieder zurücknimmt, um im Anschluss Individualklage zu erheben. Der Gesetzgeber hat dem Gläubiger bewusst die Möglichkeit der Abmeldung vom Klageregister bis zu dem in § 608 Abs. 3 ZPO geregelten Zeitpunkt und der anschließenden Geltendmachung der Ansprüche im Wege der Individualklage eingeräumt und für diesen Fall eine spezifische Regelung über eine nachlaufende sechsmonatige Verjährungshemmung getroffen (§ 204 Abs. 2 Satz 2 BGB). Nutzt der Gläubiger diese ihm ausdrücklich eingeräumte Möglichkeit der Anmeldungsrücknahme, handelt es sich daher grundsätzlich um einen einfachen Rechtsgebrauch und nicht um einen Rechtsmissbrauch. Die Umstände des Streitfalles gaben keinen Anlass, hiervon abzuweichen.

Fazit:

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Für Kläger mit dem Motor EA189 wurde bereits in anderen Fällen die Verjährung bejaht. Hier aber wurde diese durch die Teilnahme an der Musterfeststellungsklage gehemmt und war zum Zeitpunkt der Klageeinreichung wohl noch nicht abgelaufen.

Wichtig ist auch zu unterscheiden – das Urteil betrifft für den Verjährungsbeginn 2015 oder 2016 nur den Motor EA 189 von VW. Für Motoren anderer Hersteller oder andere Motoren von VW, z.B. VW 3 l Motor oder EA 288, gilt dieser Zeitpunkt nicht und ist die Frage der Verjährung getrennt zu prüfen.

Update:

Der BGH hat am 22.02.2022 entschieden, das die Verjährung des sogenannten Restschadensanspruch erst nach 10 Jahren (taggenau) eintritt. Das kann also für den einen oder anderen, der die 3-Jahre-Frist verstreichen ließ, der Rettungsanker sein. Hier muss man aber im Einzelfall prüfen, ob die einzelnen Voraussetzungen dafür erfüllt sind und schnell handeln. Dann sind durchaus Ansprüche noch durchsetzbar.

Yvonne Sergon
Rechtsanwältin in Cottbus

Frau Sergon berät und vertritt Mandanten zum Thema VW, Audi, Porsche, Skoda, Seat und Dieselskandal, nimmt eine Untervollmacht am Landgericht Cottbus hierzu wahr oder führt den Schriftverkehr. Bei Fragen rund um den Autokauf, Gewährleistung und arglistige Täuschung ist sie Ihr Ansprechpartner vor Ort.