Hat der Unfallverursacher für alle psychischen Schäden einzustehen oder wann liegt eine Begehrensneurose vor, die dem Schädiger nicht mehr zugerechnet werden kann?


Was wenn sich der Geschädigte in seine Forderungen hereinsteigert bzw. wie grenzt man dies ab?

Im dem vom Bundesgerichtshof (BGH) am 10.07.2012 entschiedenen Fall erlitt der Kläger unstrittig 1993 einen Verkehrsunfall, für dessen Folgen die Beklagten grundsätzlich voll haften mussten. Streit bestand um die Höhe des Schadens, insbesondere das Schmerzensgeld, den Haushaltsführungsschaden und den Verdienstausfall.

Der Verletzte machte geltend, dass er aufgrund des Unfalls nicht mehr arbeiten konnte und verlangte u.a. Erstattung eines Erwerbsschaden, Aufwendungen für die geschiedene Ehe, Schmerzensgeld u.v.m., insgesamt rund 650.000 €.

Objektiv war eine Wirbelsäulenprellung und Distorsion der HWS eingetreten. Nachgewiesen wurde u.a. eine Anpassungsstörung mit depressiver Stimmung, Angst und Sorge um die Zukunft, eine somatoforme Schmerzstörung und Störungen der Bewegungs- und Sinnesempfindung. Die weiteren behaupteten Verletzungen, u.a. Frakturen (Brüche) bestätigten sich im Rahmen der Beweisaufnahme nicht. Hauptstreitpunkt war, ob der Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) erlitten hatte oder nicht.

Das Berufungsgericht hatte ingesamt 12.000 € Schmerzensgeld sowie etwa 4.000 € weitere Schäden zugesprochen und ansonsten einen Anspruch abgelehnt, da ein Zusammenhang zum Unfall fehlen würde.

Der BGH ist dem gefolgt und hat auch die Revision verworfen.

Er bestätigte grundsätzlich aber, dass der Schädiger sich nicht darauf berufen kann, dass der Schaden nur deshalb eingetreten sei oder ein besonderes Ausmaß erlangt habe, weil der Verletzte infolge von Anomalien oder Dispositionen zur Krankheit besonders anfällig gewesen sei. Wer einen gesundheitlich geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wäre der Betroffene gesund gewesen. Dies umfasst ausdrücklich auch Folgewirkungen, die auf einer psychischen Prädisposition oder einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen.

Abgelehnt wird eine Zurechnung aber zum einen bei Bagatellschäden und zum anderen bei Begehrensneurosen. Folgeschäden, die wesentlich durch eine Begehrenshaltung des Geschädigten geprägt sind, können dem Schädiger nicht zugerechnet werden. Nach dem Gericht scheidet eine Zurechnung des Folgeschadens für sogenannte Renten- oder Begehrensneurosen aus, die dadurch gekeinnzeichnet sind, dass der Geschädigte den Unfall in dem neurotischen Streben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass nimmt, den Schwierigkeiten des Erwerbslebens auszuweichen. Eine Haftung des Schädigers ist dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn bei der Entstehung der Schadensfolgen die Existenz des Schadenersatzanspruchs als solcher eine entscheidende Rolle gespielt hat. Der geltend gemachte Schaden muss in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenanlage stehen, ein mehr quasi zufälliger Zusammenhang reicht nicht.

Ob der konkrete Verletzte eine solche Begehrensneurose hat oder die psychsichen Folgen z.B. aufgrund der Prädisposition zurechenbar sind, hat das Berufungsgericht auf Basis eines Sachverständigengutachtens geklärt. Der Gutachter hatte ausgeführt, dass die Folgen zu 90 {01e6749596b3a0e651dbad79e435013c320db496970d5fd00945be0416edab62} auf persönlichkeitsbedingten Faktoren beruhten und zumindest ab 1995 (Unfall bereits 1993) durch die Begehrensneurose geprägt ist.

Die Angriffe der Revision gegen dieses Gutachten und die vom Berufungsgericht zugrundegelegten Denk- und Erfahrungssätze wurden vom BGH abgewiesen.

Fazit:

Diese Entscheidung des BGH zeigt, dass nachfollziehbare psychische Störungen aufgrund eines Verkehrsunfalles durchaus zu enormen Schadenersatzansprüchen führen können. Entscheidend ist letztlich die Frage, wie vorgetragen wird und später hierauf aufbauend der Gutachter entscheidend.Es gilt daher bei der Vertretung des Geschädigten bereits frühzeitig zu prüfen, ob zurechenbare Erkrankungen vorliegen, wie man diese nachweisen kann und entsprechende Belege zu sichern. Übertreibungen sollten vermieden werden.

Sollte es zu eine Rechtsstreit kommen, so ist ein erstes ablehnendes gerichtliches Gutachten ggf. fachlich angreifbar und kommt ein daraufhin eingeholtes zweites Gutachten zu einem günstigeren Ergebnis. Dies dürfte die Vergleichsbereitschaft des Versicherers wesentlich erhöhen und ist ein Streit durch alle Instanzen nicht immer sinnvoll.

Margit Bandmann
Rechtsanwältin und Fachanwältin für Verkehrsrecht in Cottbus

www.rechtsanwalt-bk.de

Frau Rechtsanwältin Bandmann ist u.a. Fachanwältin für Verkehrsrecht. Hierzu gehört u.a. die Prüfung, Geltendmachung, Durchsetzung oder Abwehr von Schadenersatzansprüchen wie z.B. Schmerzensgeld, Verdienstausfall, Reparaturkosten, Haushaltsführungsschaden u.v.m., egal ob nach Verkehrsunfall oder sonstiger Schädigung.

Sie berät und vertritt Sie als Rechtsanwältin über die Region um Cottbus, Spremberg, Hoyerswerda oder Senftenberg in allen Fragen Verkehrsrechts sowie weiteren Rechtsgebieten. Sollten Sie sich nicht sicher sein, in welches Rechtsgebiet Ihr Fall gehört und ob dieses ebenfalls bearbeitet wird, so fragen Sie einfach telefonisch und unverbindlich an.